Samstag, 21. Februar 2015
Was bedeutet es, jetzt nach Jordanien zu reisen? Man hat keine Wartezeiten bei der Gepäckaufgabe und definitiv kein Gedränge vor dem Gate; wir sind gerade einmal 15 Reisende. Und trotzdem, man braucht viel Geduld. Das Flugzeug kann aufgrund des Schneesturms nicht starten. Nein, hier in Zürich fällt gerade kein Schnee, aber in Amman. Als ich mit einer dreistündigen Verspätung dann endlich in der Luft bin, merke ich, wie erschöpft ich eigentlich bin. Innert so kurzer Zeit eine solche Menge Stricksachen zu verpacken, den Transport zu organisieren, den unzähligen Nachfragen nachzugehen und einen Verein zu gründen, war hektisch. Und dies neben Arbeit und Studium. Ohne so viele helfende Hände und geniale Vereinsmitglieder unseres Vereins StrickWärme ein Ding der Unmöglichkeit.
Erst kurz vor der Landung wache ich wieder auf. Ich denke, es geschafft zu haben, als ich mit einem Lächeln den Zoll kurz vor Mitternacht durchquere. Doch dann stellen sich plötzlich Zollbeamte in den Weg und wollen wissen, was in den Boxen ist. Als sich vor ihnen unzählige wunderschöne Stricksachen türmen, beginnt mein Herz zu rasen. Ich bin mir bewusst, dass ich die Sachen verzollen müsste. Den Zollpreis kann ich um die Hälfte reduzieren. Wahrscheinlich lag es an meinem total eingerosteten Arabisch mit Schweizerakzent – die Zollbeamten grinsen und helfen mir sogar, die Boxen rauszutragen.
In der Empfangshalle werde ich herzlich von Anna und Christoph, meinen Gastgebern hier in Jordanien, von der Schweizer Stiftung NOIVA begrüsst. Ich habe Glück. Ohne Flugverspätung hätte ich die erste Nacht im Flughafenhotel verbracht. Bei Schnee und Eis darf auf den jordanischen Strassen nicht gefahren werden. Eigentlich kein Wunder, denn Winterpneus und Salzstreumaschinen trifft man hier nicht an.
Die Frau und die Kinder von Christoph schlafen schon und auch wir verabschieden uns bald. Sie haben mir liebevoll eine Schlafecke im Salon eingerichtet. Doch nach kurzer Zeit wache ich auf. Es ist bitterkalt und ich muss an die zahlreichen Flüchtlinge denken, die nicht weit von mir in Zelten oder in kaum beheizten Räumen ausharren müssen.
Ich habe den Luxus, mich mit mehr Decken einzuwickeln und den Radiator als Rückenwärmer zu verwenden.
Sonntag – 22. Februar 2015
Am Morgen werde ich durch Kinderlachen geweckt und auch von Rebekka und ihren Kindern werde ich so begrüsst, als würden wir uns schon lange kennen.
Nach einer kurzen Besprechung machen wir uns mit dem Spendengeld für die Esspakete und den Stricksachen um 10 Uhr auf den Weg nach Mafraq. In dieser rund 40 Minuten entfernten Stadt in der Nähe der syrischen Grenze leben mehr Flüchtlinge als Jordanier.
Die erste Station ist ein Supermarkt, um die Essenspakete zusammenzustellen. Dort treffen wir auch auf Basil, ein Jordanier in meinem Alter, der uns beim Übersetzen hilft. Er begleitet das Team von NOIVA schon seit längerem ehrenamtlich auf Hausbesuchen.
Der erste Besuch findet bei einer achtköpfigen syrischen Flüchtlingsfamilie statt. Wir werden herzlich begrüsst. Sie haben eine blinde Tochter und einen geistig behinderten Jungen. Doch wie sich alle um diese kümmern, ist rührend. Man merkt, sie haben durch den Krieg alles verloren. Sie leben in zwei kahlen Betonräumen. Es ist kalt und ich behalte meine Jacke an. Es ist spannend und schockierend zugleich, wie sie von ihrem Schicksal berichten. In das Zaatari Camp (dem offiziellen Flüchtlingscamp) wollen sie nicht; es sei wie ein Gefängnis, es gebe Konflikte und es sei überfüllt. Seit ich bei der Hinfahrt dieses enorme Zeltlager gesehen habe, kann ich sie nur zugut verstehen.
Als Basil ihnen auf Arabisch erklärt, was ich ihnen Spezielles mitgebracht habe, sieht man ihnen die Freude an. Besonders die Kinder zeigen grosses Interesse an den bunten und völlig unterschiedlichen Mützen. Es wird viel gelacht, anprobiert und unzählige Male Danke gesagt.
Anna und Rebekka singen noch mit ihnen und zum Abschluss gibt es noch ein Gebet. Mit einem lachenden und weinenden Auge verlasse ich das Haus.
Draussen warten um die dreissig Flüchtlinge, welche auch dringend unsere Hilfe benötigen würden. Doch wir müssen weiter. Wir hetzen ins Auto und hoffen, dass sie verstehen, dass wir gerne helfen würden. Hier wahllos Mützen zu verteilen, würde eskalieren. Das merke ich schnell.
Der Tag verläuft weiter so. Wir besuchen syrische Flüchtlingsfamilien, aber unter anderem auch eine jordanische Witwe. Denn auch sie lebt am Existenzminimum – umso mehr seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien. Denn man stellt sich vor, in die Schweiz kommen innerhalb kurzer Zeit über 700’000 Flüchtlinge. Das wäre ungefähr das Verhältnis wie in Jordanien. Dies führt zum massiven Anstieg von Miet- und Nahrungsmittelpreisen. Zudem kommen das Schulsystem und die Infrastruktur an seine Grenzen.
Um 18 Uhr machen wir uns auf den Rückweg nach Amman. Anna und Rebekka fragen mich, wie ich den Tag erlebt habe. Dies in Worte zu fassen ist schwierig. Ich habe Menschen getroffen, die traumatisiert sind, angeschossen wurden, junge Menschen in meinem Alter, die weder arbeiten noch in die Schule gehen können, Eltern, welche den Kindern nicht das geben können, was sie wollen, etc. Dennoch, trotz der Trostlosigkeit, der Armut und dem Leid überwiegen die positiven Erlebnisse. Ich konnte mit den Flüchtlingen lachen, spürte, dass sie sich ab den Esspaketen und den Stricksachen freuten und dass sie wissen, dass es Menschen gibt, die an sie denken.
Nach einem tollen Gespräch mit meinen Gastgebern und einem leckeren Essen sitze ich nun neben dem warmen Gasofen und weiss, dass sich die Hektik, der Schlafmangel und den Verzicht auf Freizeit in den letzten zwei Monaten mehr als gelohnt hat. Gute Nacht zusammen- morgen steht viel auf dem Programm.